#Inkluencer – Erfolgreich im Auftrag der Inklusion

Als ich vor einigen Wochen das erste Mal die Redakteurin des ZDF am Telefon habe, bin ich kurzzeitig zwischen Fassungslosigkeit und Irritation gefangen. Wir? Bei Menschen – Das Magazin?

Und so nahm alles irgendwie seinen Lauf. Wir haben uns zu Hause dazu besprochen, und haben aus dem Bauch heraus entschieden, dass das ok ist. So wie es für uns eben auch ok ist, dass wir Einblicke in unseren Familienalltag hier und auf Instagram teilen.

Doch warum machen wir das eigentlich?

In der Vorbereitung auf den Drehtag habe ich mit der Redakteurin Steffi hin und her geschrieben. Bis ich ein Konzept erhielt, dass ihre finalen Fragen enthielt. Da im Beitrag gar nicht alles Verwendung finden konnte aus dem Tag, an dem uns das Team von vormittags bis nachmittags begleitete, gibt es hier einen kleinen Einblick dazu.

Am Drehtag bin ich nur mäßig nervös. Wir wissen auf was wir uns da einlassen und wozu wir das tun. Spätestens als wir um 10:00 Uhr dem Team die Tür öffnen und uns alle mit entsprechendem Abstand begegnen, verfliegen alle Sorgen. Das sind Menschen wie du und ich. Schnell merke ich, dass der Eindruck auch auf der anderen Seite entsteht.

Tilli, Janosch und Frida lassen sich von der Kamera und der Beleuchtung nicht irritieren. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es selbst für einen völlig normalen Tag halten. Einen Tag an dem unsere Freundin und Fotografin ein Familienshooting mit uns macht. Doch spätestens als Kamera und Mikrofon sich auf mich richten, und Steffi ihre klugen und liebevollen Nachfragen stellt, ist es eben doch ein wenig was anderes.

Auf deinem T-Shirt steht Inkluencerin – verstehst Du Dich als Inkluencerin und was bedeutet das? Was ist eine Inkluencerin? Definier mal bitte, was für Dich Inklusion bedeutet? Warum setzt Du dich für Inklusion ein? Ist Inklusion schon früher ein Thema für Dich gewesen?

Tillmann sitzt an meiner Seite und schaut mich groß an, als würde er auch warten, was ich dazu zu sagen habe. Und während ich ihn ansehe sprudelt es nur so aus mir heraus, bis mich Steffi kurz unterbricht. „Wow! Und ich dachte schon ich spreche schnell!“ Wir lachen beide. Das entspannt mich, ich atme tief durch und beginne von vorn. Hätte ich es schreiben können, lautete die Antwort wohl so: „Nein, nicht unbedingt. Vermutlich hätte ich dann den Anspruch an mich, dass ich fachlich mehr zum Thema äußern könnte und eine größere Reichweite hätte. Betrachte ich einfach das, was wir tun, dann sind wir es dennoch. Weil wir Menschen erreichen. Ihnen zeigen können, dass ein Kind mit Downsyndrom anders und nicht weniger normal ist. Weil wir da sein können für Fragen und zuhören können, bei ganz eigenen Erfahrungen. Das ist wahnsinnig wertvoll. Dabei ist Inklusion viel mehr als der Einsatz für einen normalen Umgang mit dem Besonderen. Für mich ist es der Inbegriff von Toleranz. Das „So sein dürfen, wie man ist“ ohne eine Ab- oder Bewertung von außen. Die Erkenntnis, dass jeder Mensch einzigartig ist und in uns allen das Bedürfnis liegt, so angenommen zu werden. Vor Tillmann war das einfach ein stiller Anspruch von mir an den gesunden Menschenverstand. Mit der Diagnose Down-Syndrom war es der Wille, die Grenzen der Normalität in den Köpfen anderer zu erweitern. Zu zeigen, dass Normalität nicht real ist. Eine facettenreiche Gesellschaft schon.“

Meine Antworten kommen aus dem Bauch heraus, oft muss Steffi ihre Fragen konkretisieren, damit auch ich nicht zu sehr abschweife. Dafür wird in einem 5-minütigen Beitrag nicht ohne Ende Platz sein. Um uns herum toben die Kinder. Manchmal ertappe ich mich, wie ich Tilli gedankenverloren betrachte. Wie verrückt es ist, dass wir die Chance sehen unser Lebensgefühl und unsere Werte mitzuteilen, anstatt das nur im analogen Leben zu tun.

Was ist das Besondere an Tillmann? Warum Außerordentlich glücklich?

   

Ich muss Schlucken. Die Frage ist irgendwie riesig. Meine Antwort kann und soll nicht das typische lebensfrohe und witzige Kind mit dem Extrachromosom beschreiben. Also sehe ich mir Tilli vor meinem inneren Auge an. Den Jungen, der schon so viel geleistet hat, das für seine Geschwister mit weniger Anstrengung zu erreichen war. Ich sehe, wie er mit 6 Wochen mit der Physiotherapie beginnt. Wie er mit 10 Monaten zu robben, mit 14 zu krabbeln beginnt und nach 2 Jahren und drei Monaten zum ersten Mal aufsteht und auf uns zu tapst. Ich erinnere mich, wie schwer es für ihn war großer Bruder zu werden und sehe ihm heute dabei zu, wie gern er genau das ist. Ich spüre die Wut und Frustration, wenn die Laute nicht kommen, mit denen er uns sagen könnte, was ihm durch den Kopf geht. Was unendlich viel sein muss, denn er ist unschlagbar clever. Und ich erkenne diese große Liebe zu uns und allen Menschen, die ihn annehmen wie er ist. Die ihm Zeit geben, mit ihm Lachen, ihn unterstützen und auffangen. Und dann rollen mir hier die Tränen, weil wir ihn dafür so lieben wie er ist. Mehr noch. Weil wir genau das an ihm lieben, dass er ist, wie er ist ohne sich darum zu scheren, ob das für andere problematisch sein könnte. Am liebsten würde ich ihn antworten lassen.

Ja, warum eigentlich außerordentlich glücklich? Das wissen nur die, die uns schon länger folgen. Ich habe irgendwann mein Poesiealbum aus Kindertagen in der Hand gehalten. Und da stand er. Der handgeschriebene Satz meiner Oma. Bei dem ich mich heute noch frage, wie sie diesen kleinen „Fehler“ aus zwei zusätzlichen Buchstaben übersehen konnte, wo sie doch immer extrem wohl überlegt und perfektionistisch veranlagt war. ‚Das große „Glück“ liegt in einer außerordentlichen glücklichen Familie.‘ Und ich frage mich, ob sie schmunzeln müsste, wenn sie uns heute so sehen könnte. Das große Herz voller Liebe für etwas, dass ein wenig außerhalb der üblichen Ordnung liegt.

Inklusion bedeutet Teilhabe, wie kannst du das mit dem Blog voranbringen? Sind soziale Medien die geeignete Spielfläche dafür? Warum macht ihr die Bilder nicht selbst? Ist das oft mehr Illusion als Alltag?

Für diese Fragen bin ich Steffi irgendwie dankbar, weil ich die Antwort nicht kannte, bevor mir niemand die Frage stellte. Ich kann nicht beurteilen, ob das was wir machen, der Sache wirklich dienlich ist. Noch ob wir uns für die geeigneten Medien entschieden haben. Was ich weiß, ist, dass wir das aus dem Wunsch heraus tun, Einblicke zu geben. Die Wahl zu haben, ob ich Klisches und Vorurteile hege, oder mir anschaue, wie das bei jemandem real so läuft. Das wir regelmäßig Familienshootings machen, ist purer Selbstszweck. Damit unsere Kinder Erinnerungen haben, wie wir zusamen sind, anstatt auf Fotos zu sehen, wie wir sie bei jedem Meilenstein einfangen. Das diese Bilder auf ganz natürliche Art zeigen, dass Normalität relativ ist, scheint mir allerdings hilfreich zu sein, wenn es darum geht, Grenzen in Köpfen zu verschieben und ein aktuelles Bild vom #lebenmitdemdownsyndrom zu zeigen.

Wie sehr war Tillman ein Wunschkind? Welche Hürde gab es? Wie ist die Schwangerschaft verlaufen? Wann habt ihr gewusst, das irgendetwas nicht stimmt? Wann habt Ihr erfahren, dass Tillmann ein Chromosom mehr hat? Wie haben die Ärzte reagiert? Wie hat man Euch das gesagt? Was waren Eure ersten Gedanken? Eure Reaktion? Konntet Ihr ihn gleich annehmen?

Nachdem die Kinder im Mittagsschlaf verschwunden sind, sitzen wir da, einzeln mit Steffi. Die Kamera direkt vor uns. Es hat etwas unheimlich privates und trotz eingehaltener Abstandsregeln, geht jede Distanz dahin, als wir ihr getrennt voneinander antworten. Als mich Alfi bei Tillis Einschlafbegleitung ablöst, sehe ich, dass er ziemlich bewegt ist und wenige Momente später ergeht es mir ebenso. Ich antworte Steffi ehrlich und aus dem Bauch heraus. Immer wieder holen mich Erinnerungen ein und ich sehe alles wie einen Film vor mir ablaufen, während ich ihr antworte. Und wenn ich sie dann ansehe, sehe ich die Tränen in ihren Augen. Wie sie mitfühlt. Mit hadert. Mit Angst hat. Während ich selbst mit dem Kloß im Hals kämpfe. Ich glaube am besten beschrieben, habe ich es damals hier https://trendmum.com/2017/02/24/welcometomyword-und-dann-kam-tilli/

Das sieht jetzt alles so super schön und perfekt aus, wann stoßt Ihr an Eure Grenzen? Ist Euer Leben so außerordentlich glücklich? Was waren nicht so tolle Erlebnisse, die Ihr mit Tillmann gemacht haben? Wie reagieren die Menschen auf Tillmann? Was wünscht Ihr euch für ihn? Wie soll das Leben von Tillmann aussehen?

Und während sie uns das fragt, schmeißt Frida ihren Becher Milch zum zweiten Mal um. Tilli spuckt den mitgebrachten Fertigkuchen auf den Teller, was ich ihm nicht verübeln kann. Selbstgemacht wäre definitiv besser gewesen. Janni weint aus Leibeskräften, weil er noch einen weiteren Fruchtriegel will, den es nicht gibt. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf und um noch alle Fragen zu beantworten, bevor uns der Regen ins Gesicht klatscht, müssen wir uns bestimmt beeilen. Alfi und ich schauen uns an und müssen lachen: „Ja, klar, voll perfekt!“ „An Grenzen stoßen? Wir leben in dauerhafter Überforderung.“ Und als wir beide lachen, lachen die Kinder mit. Nahe dran, an perfekt, für uns.

Zum Glück haben wir bis heute nur sehr wenige schlechte Erlebnisse im Umgang mit Tilli gemacht. Was man schon häufiger erlebt sind Unsicherheit, Verniedlichung und Verharmlosung. Darauf gibt es jedoch nur eine Antwort. Offenheit, Rückfragen zu stellen und Fragen zuzulassen. Wir müssen Teilhabe ermöglichen, um anderen die Chance zu geben über den Tellerrand der vermeintlichen Normalität hinauszuwachsen. Deshalb machen wir das.

https://www.zdf.de/gesellschaft/menschen-das-magazin/menschen—das-magazin-vom-13-juni-2020-100.html

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