deine Grenzen – dein Freiraum

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In meinem Kopf gab es viele Ideen davon, wie ich leben werde, wenn ich Kinder habe. Wie ich aus der Zeit meiner Schwangerschaft, der Elternzeit hervorgehe und in meiner Rolle als Mutter ankomme. Dabei habe ich nur eine Wesentliche Sache aus dem Blick verloren. Mich.

Rollen die wir einnehmen, in die wir reinwachsen, bilden nicht unsere gesamte Identität ab. Selbst wenn ich zu 200% in meiner Rolle als Mutter aufgehe. Sind da noch andere Rollen und Anteile in mir. Die es vor allem schon viel länger in meinem Leben gibt als meine Mutterschaft. Es ist fast schon absurd anzunehmen, dass ich mit dem erfüllten Wunsch nach einem Kind die imaginative Ziellinie überschreite, die mich ENDLICH ankommen lässt.

Um ganz ehrlich mit dir und mir zu sein. Etwas in mir wusste das bereits. Und es hat mir trotzdem innerlich den Raum dafür gegeben in dieser Mutterrolle erst einmal anzukommen. Doch das war ein Entgegenkommen auf Zeit. Denn eines ist wichtig zu verstehen. Alles was in uns ist, hat seine Berechtigung und eine wichtige Aufgabe, wenn es darum geht, dass wir wirklich bei uns ankommen können.

Mutter sein erfordert so viel mehr als die Mutter deines Kindes zu sein. Für mich bedeutete es auch die Mutter zu sein, die sich von der Mutter-Tochter-Beziehung unterschied, die ich erlebt hatte. Hinzu kam die Mutter an der Seite eines auch neu gewordenen Vaters zu werden. Es ging neben dem dazulernen um Stillen, Windeln, Einschlafbegleitung, U-Untersuchungen, Therapie, Beikosteinführung, kindliche Entwicklung und bedürfnisorientierte Erziehung um ganz subtile neue Fähigkeiten. Nämlich die für mich, meine Werte und Haltung einzustehen.

Wenn du bei deinem ersten Kind mit dem Zusatz einer Behinderung und Entwicklungsverzögerung bekommst, wächst neben all dem das Paralleluniversum der Mutterrolle in der Gesellschaft heran. Es konfrontiert dich mit den Grenzen eines Systems, das nicht dazu erstellt wurde Diversitäten abzudecken, sondern möglichst vielen Menschen gleich gerecht zu werden. Die sich gar nicht gleichen. Und sie werden sekündlich mehr. Und daran scheitert das System täglich. Mit ihm die Menschen darin. Ärzt:innen, Therapeut:innen, Erzieher:innen und Sachbearbeiter:innen im Amt für Soziales. An ständig neuen Berührungspunkten war es notwendig für mich und mein Kind eine Haltung zu haben. Und das kollidierte. Mit dem Wunsch nach dem Ankommen in meiner Mutterrolle.

Mir ist bewusst, dass ich eine rosarote Brille aufhatte, wenn es um die Vorstellung vom Muttersein ging. Was mich heute gar nicht mehr überrascht. Sehe ich doch in meiner Arbeit Frauen, die dauerhaft über ihre Grenzen gehen, mit Übergriffigkeiten konfrontiert werden, wenn es darum geht es „richtig“ zu machen, die kaum noch Ressourcen haben und sich fast nicht mehr spüren. Die trotzdem jeden Tag wieder aus Pflichtbewusstsein und noch mehr Liebe immer noch mehr möglich machen. Ich reihte mich in diese Erfahrung von Mutterschaft ein und anstatt anzukommen, spürte ich instinktiv, dass ich das so nicht will. Nicht für mich, meine Beziehung, meine Kinder noch für die Gesellschaft und schon gar nicht für das System.

In mir rebellierte es immer stärker. Erst durch Erschöpfung, dann durch Traurigkeit. Bis ich mitten in meinem Leben stand und Orientierungslosigkeit empfand. Es war mir alles zu schnell, zu laut und zu fordernd. So wollte ich Mutter sein nicht leben. So wollte ich nicht leben.

Um der Geschwindigkeit in Herz und Kopf etwas entgegenzusetzen, begann ich zu meditieren. Damals war die Einschlafbegleitung ein Horror. Weil ich gar nicht die nötige Ruhe dazu hatte. Gerade für Tillmann war das wie eine unausgesprochene Einladung dazu mit mir wach zu liegen. Ich kann es immer nur wieder wiederholen. Wir sind Resonanzwesen. Wenn wir wollen, dass sich Dinge für unsere Kinder verändern können, ist es wichtig anzuerkennen, was es mit uns zu tun hat. Uns selbst in den Veränderungswunsch einzuschließen. Also legte ich mich mit Kopfhörern im Ohr neben Tilli und nutze eine App um geführte Meditationen meinen Geist hoffentlich beruhigen zu können. Intuitiv wusste ich, dass ich dann auch wieder zuhören könnte. Mir selbst und dem, was es gerade braucht.

Die ersten Abende ergab ich mich einfach in die geführte Meditation. Zweifelte noch an, ob das mit dem unruhigen Tilli neben mir funktioniert. Nach einer Woche merkte ich, wie ich mich auf diese neue Gewohnheit freute. Es fiel mir immer leichter, zur Ruhe zu kommen. Vor allem fiel es mir leichter Tillis Unruhe anzunehmen und neben ihm die Ruhe zu sein, die wir beide brauchten. Nach zwei Wochen war es ein magischer Moment, wenn die Meditation mit einem Gong begann. Der Ton setze sich in meinem Körper fort und es fühlte sich an als würde sich alles in mir wirklich zur Ruhe legen. Ich fühlte mich getragen. Auf der gleiche Matratze neben Tilli, die ich in den Wochen davor oft für einen nervenaufreibenden Ort gehalten habe. Ob es Tilli etwas gebracht hat? Es brachte ihm ein friedliches Einschlafen. Und ich merkte es daran wie auch sein Körper schwer wurde, sein Atem sich meinem anpasste und ich einen tiefen Frieden zwischen uns empfand. Da war keine Anstrengung mehr, kein Kampf. Ich hatte das Gefühl in diesem Moment absolut präsent zu sein. Anzukommen fühlte sich ganz anders an als ich es unbewusst erwartet hatte. Es war kein erhabenes Gefühl, kein Erfolg. Es waren Dankbarkeit und innerer Frieden.

 

Als ich dort so lag, war da ein Gedanke kristallklar in meinem Kopf. Will ich in meinem Leben die sein, die ich mir wirklich wünsche, brauche ich klarere Grenzen. Grenzen, die mir selbst so klar sind, dass ich sie nicht mehr überschreiten lasse. Grenzen in denen ich mir als die erscheine, in der ich mich sicher und stark fühle. Dafür brauchte es innerhalb dieser Grenzen den Freiraum mir ganz zu begegnen. Mit all den Facetten meiner Identität, die ich auch nach außen strahlen lassen will. Eine Klarheit darüber, wie ich Ressourcen nicht nur auffülle, sondern auch dafür sorge, sie nicht ohne es zu hinterfragen aufzubrauchen und trotzdem weiterzumachen. Ich musste dafür in der Lage sein, mich selbst wieder wirklich zu spüren und meine innere Stimme lauter sein zu lassen als das Außen.

Heute ist das Außen noch genauso laut wie vorher, doch ich entscheide, wie sehr ich den Lärm in mich aufnehme. Wie ich Ansprüchen gerecht werde, die nicht meine sind. Wie ich die Balance finde aus Selbstwirksamkeit und Verbundenheit. In diesem Finden von Balancen bin ich täglich ich. Das ist es, was es mir möglich macht, Dinge umzusetzen, die mir wichtig sind und gleichzeitig in der Form präsent zu sein, die ich mir wünsche.

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