Worte für deine Gedanken

Einhergehend mit der Diagnose Trisomie 21 habe ich mich immer wieder gefragt, wie ich Tilli einmal verstehen werde. Wobei das ist nicht ganz richtig. Ich habe mich gefragt, wie Tilli es schaffen kann sich verständlich zu machen. Und das nicht rudimentär, sondern ich habe mich gefragt, wie wir ihn bestmöglich auf dem Weg dahin begleiten können, dass er sich und sein Innerstes ohne Scheu, Scham oder Hindernisse zum Ausdruck bringen kann.

Heute halte ich das selbst für Quatsch. Es gibt unzählige Menschen, die nicht sprechen und dennoch ganze Welten zum Ausdruck bringen.

Mein Wunsch war letzten Endes egoistisch. Ich wollte die Welt in seinem Kopf mit ihm teilen können. Und trotzdem weiß ich mittlerweile, dass daran nichts falsch ist. Ich weiß es deshalb, weil ich sehen und hören kann, wie Tilli langsam beginnt uns die Tür zu seinem Erleben und seiner Fantasie zu öffnen. Ich weiß es, weil seine Freude darüber, wenn wir ihn wirklich verstehen, eine der schönsten Freuden ist, die er zum Ausdruck bringen kann.

Rund um die Sprachentwicklung von Menschen mit Downsyndrom gibt es einige Klischees oder auch Falschaussagen, die sich trotz belegbarer Wahrheiten erstaunlich hartnäckig halten. Von der zu großen Zunge bis hin zu der Aussage, dass sich vor dem Alter von 5 Jahren keine Sprache entwickeln wird, ist einiges auffindbar. Selbst unter Kinderärzten und Therapeuten. Woran liegt das? Ich kann es nur erahnen. Doch ein nicht unerheblicher Teil beruht sicherlich auf einem Mangel eigener Erfahrung.

Wir haben nur Tillmann. Einen Einzelfall. Unser Kind. Den wir 24 Stunden jeden Tag sehen, hören und bestmöglich zu verstehen versuchen. Und dennoch sind wir nicht allein mit der Erfahrung, dass frühe Förderung, gezieltes Üben und Hilfssysteme dazu beitragen Sprache oft schon weit vor dem fünften Lebensjahr anzubahnen. Natürlich spielen die genetischen Voraussetzungen eine Rolle. Das tun sie auch bei jedem neurotypischen Kind. Doch was, wenn wir unabhängig davon wie gut die Kinderärzte oder Therapeuten vor Ort sind, die Möglichkeit haben Tilli etwas mitzugeben, dass er nicht für uns tut, oder dafür sich gut in der Gesellschaft zu behaupten, sondern einfach um uns mitteilen zu können, was in ihm vorgeht. Und was, wenn das jeder kann?

Wir haben letzte Woche ein wundervolles Elterncoaching mit Diana Bangratz von t21_we_learn gehabt. Sie arbeitet in ihrer Praxis mittlerweile ausschließlich mit Menschen mit dem Down-Syndrom. Sie ist studierte Logopädin, 35 Jahre jung, und selbst Mutter eines kleinen Sohnes. Sie lebt und arbeitet in Köln sowohl in einer Praxis als auch selbstständig. Ihre Online Coachings stehen jedem offen, der Interesse an der Method des frühen Lesens hat und sind tatsächlich eine riesige Bereicherung. nicht nur in der aktuellen zeit, sondern auch für Menschen wie uns, die einfach weit weg wohnen.

Tilli hat schon jetzt sehr von Dianas Arbeit profitiert, doch dazu später mehr. Denn was Diana neben ihrer fachlichen Kompetenz und Erfahrung so wertvoll macht, sind meiner Meinung nach, vor allem ihre Ansichten und ihr Vertrauen in das Potenzial der Kinder auf die sie tagtäglich trifft. Dazu habe ich sie um ein kleines Interview gebeten.

Diana, Wie lange arbeitest du mittlerweile ausschließlich mit Menschen mit dem Downsyndrom?

Ich arbeite seit 13 Jahren und habe von Anfang an Kinder mit Trisomie 21 behandelt. Das ist rasch immer mehr und mehr geworden. Nahezu ausschließlich mit Menschen mit dem Down-Syndrom habe ich bereits wenige Jahre später gearbeitet.

Wie kam es dazu? Was hat dich dafür begeistert?

Der damaligen Inhaberin der Praxis, Frau Maria Rodenacker, war es in allen Bereichen immer wichtig, auf dem neuesten Stand der Dinge zu bleiben. Vor allem in Bezug auf Therapiemethoden. Als das „frühe lesen“ in der Praxis als Methode umgesetzt werden sollte, hat sie mich vom ersten Tag an mit einbezogen. Wir haben schnell dessen Wirksamkeit erkannt und anschließend das Konzept gemeinsam bei uns implementiert. Die Nachfrage wurde immer größer. Die Erfolge sprachen im wahrsten Sinne des Wortes für sich und so kam eins zum anderen. Ich habe damit meine Arbeit in der Praxis begonnen und mache seitdem genau das. Mal ausgenommen, dass ich meine Erfahrungen sammle und Dinge so abwandle, wie ich es im Einzelfall für am sinnvollsten halte.

Machen wir einen kurzen Ausflug in die Theorie: Diana, was sind die größten Hürden beim Spracherwerb für Menschen mit dem Downsyndrom?

  • Ein Großteil der Kinder mit Trisomie 21 hat aus unterschiedlichen Gründen eine Hörminderung. Des Weiteren haben Untersuchungen ergeben, dass das auditive Kurzzeitgedächtnis verkürzt ist. Alleine über das Zuhören wird die Sprache deshalb nur unzureichend und verstümmelt gelernt. So wird beispielsweise der Wortanfang vergessen, wenn nur der zweite Teil gehört wurde. Eine visuelle Kompensationen, wie zum Beispiel bei der gebärdenunterstützten Kommunikation oder dem frühen Lesen,  kann das Lernen günstig beeinflussen.
  • Hinzu kommt, dass die die Verhältnisse im Mundbereich anders sind. Der Oberkiefer ist kleiner als der Unterkiefer. Oft ist der Gaumen extrem hoch. Das kann zu Essproblemen führen. Die veränderte Anatomie erschwert die korrekte Lautbildung. Zudem ist der veränderte Neurotransmitterhaushalt im Gehirn dafür verantwortlich, dass die Mundmuskulatur unzureichend angesteuert wird. Das „Frühe Lesen“ ist eine erfolgreiche Methode zum Spracherwerb (vgl. Sue Buckley).In den Fällen, bei denen die Ansteuerungen überhaupt nicht von alleine funktioniert, liegt eine sogenannte „Sprechapraxie“ vor. In so einem Fall hat sich bewährt erst Einzellaute zu erarbeiten und dann Silben. Ich nehme dann die Laute, die das Kind mir anbietet und versuche nach und nach Lautsequenzen und kommunikative Äußerungen aufzubauen, um ein für das Kind wichtiges Kernvokabular aufzubauen.

All diese Punkte verhindern das Erlernen von Sprache nicht gänzlich. Doch mit dm richtigen Wissen und Hilfen z.B. visuell, kann man es den Kindern erheblich erleichtern. Du arbeitest mit der Methode des „frühen Lesens“ und das neben deinem Job als Logopädin in einer Praxis auch noch freiberuflich in Elterncoachings. Zusätzlich teilst du jetzt wertvollen Input auf Instagram unter t21_we_learn . Was motiviert dich am meisten bei deiner Arbeit?

Die Kinder! Ganz klar. Bis auf die klassischen Grundlagen bezüglich des Konzeptes und Trisomie 21 habe ich alles was ich kann und weiß von den Kindern und durch den Umgang mit ihnen gelernt. Ich begleite viele von ihnen seit dem Kleinkindalter, während sie jetzt bereits junge Erwachsene sind. Zu sehen was sie sich erarbeiten, beeindruckt mich immer wieder.

Du bist selbst Mutter eines Kleinkindes ohne Entwicklungsverzögerung. Was ist aus deiner Sicht der größte Unterschied? Und welchen Rat würdest du dir selbst geben wollen, wenn du ein Kind mit Trisome 21 bekommen hättest?

Mein Motto ist: die Kinder haben Zeit! Und die sollten wir ihnen auch geben. Damit meine ich nicht, dass man nicht schon früh mit Förderung beginnen sollte. Sondern, dass es möglichst ohne Druck gestaltet werden sollte. Die Wiederholung ist sehr wichtig. Menschen mit Trisomie 21 hören nie auf zu lernen, und Fähigkeiten können noch bis ins Erwachsenenalter hinein erreicht und verbessert werden. Es muss nur auf eine andere Art und Weise beigebracht werden. Der zweite Rat, der ebenso gut der erste sein könnte: lobt die Anstrengung! Und nicht nur die Leistung! In unserer Gesellschaft wird nur die korrekt erbrachte Leistung gelobt und nicht die Anstrengung.
Ein Kind mit Behinderung wird, wenn man danach geht, weniger gelobt. So lernen diese Kinder häufig, dass sich Anstrengung sowieso nicht lohnt. Dieses Erleben muss aufgebrochen werden.

Gerade für Kinder, die größere Hindernisse in Kauf nehmen und mehr üben
müssen, um das zu erreichen, was für andere „normal“ ist, ist die Motivation
unglaublich wichtig. Viel wichtiger noch, als das erste klar artikulierte
Wort ist der Weg dahin.

Was wünschst du dir, was die Kinder aus der Therapie mitnehmen? Was willst du Ihnen für ihr Leben mit an die Hand geben?

Selbstbewusstsein und ein angemessenes Maß an sich selbst Anforderungen zu stellen. Und den Selbstschutz von anderen nicht als „armes behindertes Kind“ angesehen zu werden.

Gibt es Dinge, die, aus deiner persönlichen Wahrnehmung, wirklich für jeden Menschen mit Trisomie 21 gelten?

Sie möchten ernst genommen werden! Das eint sie alle. Und das unterstütze ich, wo es geht.

Die traurigen Fakten belegen, dass immer weniger Kinder mit einer Trisomie 21 auf die Welt kommen. Wie siehst du diesen Umstand in Bezug auf die Forschung und (Weiter-)Entwicklung vorhandener Fördermethoden für die Kinder, die eben doch mit dem Downsyndrom zur Welt kommen?

Ich erlebe die Community als sehr stark. Alle setzen sich für mehr „awareness“ ein und geben reale Einblicke, die Berührungsängste abzubauen helfen. Es wird hoffentlich noch genug Menschen geben, die sich dafür entscheiden und ebenso genug Kinder, die einfach so kommen und gut sind, wie sie sind. Umso wichtiger ist es JETZT zu zeigen, was alles möglich ist.

Was haben dich all die Kinder, mit denen du Sprache erlernen durftest, gelehrt? Was würde dir fehlen, hättest du dich nicht für diese Spezialisierung entschieden?

Sie möchten lernen. Wirklich jedes Kind, auch unter den neurotypischen, lernt anders. Ein pauschaler Bildungsweg kann eventuell nicht das volle Potenzial eines jeden Kindes ausschöpfen. Kinder brauchen Zeit. „Schnell“ geht einfach nicht. Ich wäre wahrscheinlich nicht so flexibel in meiner Denkweise was Förderung angeht. Durch die Kinder gehe ich immer wieder neue Wege, dehne die Methode aus und komme so auf ganz individuellen Wegen gemeinsam mit ihnen ans Ziel. Meine Arbeit bedeutet mir viel und ich habe jeden Tag Spaß daran.

Das kann ich nur bestätigen. Wir haben schon vorher einmal ein Seminar bei Martina Zilske besucht, um uns für das „frühe Lesen“ fit zu machen. Doch tatsächlich war das Elterncoaching für uns und Tilli ein echter Gewinn. Die bisher oft verschluckten Wortteile oder Silben, holt er gerade durch die Verwendung der Lautgebärden auf. Wir benötigen kein aufwendiges Material, sondern weiße A6 Karten und einen Edding. Alles was wir mit ihm durchgehen, orientiert sich am vorhandenen Wortschatz und seinen Lieblingsthemen.

Tilli wird dadurch immer lernbegieriger und teilt sich mehr mit. Und das auch über Dinge, die nicht im Raum sind. So ist sein neuestes Lieblingsspiel „Katze spielen“. Und diese ziemlich niedliche Tillikatze kann neben „Miau“ auch sagen, dass sie schlafen, kuscheln oder essen will.

Diana hat uns und Tilli nochmal einen ganz anderen Zugang zur Sprache gewährt. In nur 60 Minuten haben Alfi und ich wahnsinnig viel mitgeschrieben. Sie hatte ein offenes Ohr für alle bisherigen Erfolge, Hürden und Befunde. Sie hat sich mittels Fragebogen vorab ein Bild vom bisherigen Verlauf und möglichen Voraussetzungen verschafft und war unfassbar toll vorbereitet.

Ich kann Diana wirklich uneingeschränkt jedem empfehlen. Noch dazu ist es toll, dass sie online so vielen ortsungebunden zur Verfügung stehen kann. Sie ist nich nur eine kompetente Logopädin mit viel Erfahrung, sondern auch mit ganzem Herzen dabei. Sie sieht das Potenzial der Kinder mit denen sie arbeitet. Und ich glaube, sie weiß gar nicht, welches große Geschenk sie ihnen allen damit macht. Unabhängig davon wie schnell sie irgendwann Danke sagen können, schenkt sie ihnen ihre volle Aufmerksamkeit und das gute Geühl, dass sie gut sind, wie sie sind.

 

 

 

 

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