41+0 oder wie am Ende alles gut wird / Teil II

Der Fehlalarm machte jeden weiteren Tag des Übertragens mühsamer als bisher.  Nachdem ich am Montag das Krankenhaus wieder mit dem Babybauch verlassen durfte, grüßte täglich das Murmeltier, wenn ich wieder rüber ging, um erneut ans CTG angeschlossen zu werden. Ich erwartete bald, dass die Patienten die sich morgens vor dem Eingang zum quatschen und rauchen trafen, mir aus der Ferne zu grüßend zunickten.

Bis sich die Routine am Mittwochmorgen änderte. Die Kinder waren bereits um 04:30 Uhr wach. Also wach wach. Sowohl Alfi als auch ich, hätten gut mehr Schlaf vertragen können. Es war nicht groß verwunderlich, dass es bereits am Frühstückstisch erste Wutausbrüche, wegen falsch zusammen geklappter Brötchenhälften, dem falsch aufgetragenen Belag und umgekippter Becher gab. Unsere Laune ergoss sich ebenso ungewollt über den Tisch, bis wir einen handfesten unsinnigen Streit über Kindeserziehung im allgemeinen und „Du hast“ bis „Ich will einfach nur“ im Besonderen führten. Nachdem sich alle Luft gemacht hatten und die Reste der Verwüstung beseitigt waren, ging es auch wieder. So ist das nunmal mit vielen Teilen einer Familie. Unser Bauchbewohner fand den morgendlichen Stress allerdings anstrengender, als ich vermutet hätte.

Ans CTG angeschlossen ergaben sich wilde Kurven, die sich auch als kleine und große Ausschläge für alle auf meiner Bauchdecke sichtbar zeigten. Was für die Hebammen durch den morgendlichen Trubel erklärbar war, nahmen die diensthabenden Ärzte ziemlich ernst. Immer neue Gesichter kamen ins Wehenzimmer, blickten besorgt auf die Auf und Abs, besprachen sich dann wieder vor der Tür, legten mir Lavendeltücher auf die Brust und erhofften sich, dass unser Kind zur Ruhe käme.

Nach 1 1/2 Stunden dann das ernste Gespräch einer Ärztin mit mir. „Es muss natürlich nichts heißen, aber statistisch gesehen, ist das nicht gut. Ihr Kind könnte dadurch auf einen Infekt aufmerksam machen, den wir von außen nicht sehen. Sie hatten halt erst vor zwei Jahren eine Sectio, wir müssen einfach vorsichtig sein. Spüren sie etwas an der Narbe?“ Ich fühle in mich hinein, frage mich, was ich da wenn fühlen würde. Denn das kann mir keiner sagen. von 10.000 Frauen kann es bei 75 zu Komplikationen nach einer Sectio unter einer spontanen Entbindung kommen. Bin ich eine davon? Ich merke wie es in meinem Kopf kreist. Nehmen wir wieder mal eine Besonderheit mit, die da auf dem Weg liegt? Doch tatsächlich fühle ich nichts Ungewöhnliches. Ich möchte einfach nur nach Hause und meinem Baby und mir Ruhe gönnen. „Nein, ich denke es ist alles ok. Wir brauchen einfach nur Ruhe.“ „Gut, wir möchten Sie vorerst hierbehalten. Nach dem Mittagessen schreiben wir erneut ein CTG und hoffen, dass sich die Lage normalisiert.“ Ich füge mich und rufe Alfi an, um Bescheid zu geben. „Soll ich kommen?“ Da rauchen mich kurz meine Ängste und Sorgen um. Ich nicke stumm ins Telefon und Alfi reagiert prompt: „Pass auf, ich schreibe hier noch kurz zwei Mails und komme dann mit deiner Kliniktasche. Das wird schon.“

Ein Mittagessen, ein CTG und eine Untersuchung später sieht alles gut aus. Ich möchte gehen, doch man will auch am Nachmittag noch ein CTG schreiben. Da wir die Kinder zu Hause nicht völlig damit verunsichern wollen, nicht da zu sein, wenn sie heim kommen, schicke ich Alfi zu ihnen. Ich fühle mich gut. Wir einigen uns darauf, dass ich mich im Falle eines weiteren guten CTGs selbst entlassen werde, um zu Hause besser zur Ruhe zu kommen.

Ich häkle die Decke für Nummer 4 und entspanne mich. Das Baby in meinem Bauch bewegt sich ebenfalls wieder im normalen Rahmen. „Du bekommst alle Zeit der Welt“, rede ich ihm gut zu. Sage es auch mir selbst. Weil ich darauf vertrauen will, dass wir nicht der Beweis einer jeden Ausnahme von der Regel sein müssen. Da klopft es an meiner Tür für das nächste CTG. Auch das ist völlig unauffällig. Ich fühle mich bestärkt, während ich auf die Ärztin warte und kündige den Hebammen bereits an, nicht hier schlafen zu wollen. „Na dann gebe ich der Ärztin mal direkt einer Revers-Schein zur eigenmächtigen Entlassung mit. Spricht ja nichts dagegen.“

Wieder auf dem Zimmer klopft es kurz danach erneut an der Tür. Ein neuer weißer Kittel kommt herein. Wir kennen uns noch nicht. Dafür kommt man allerdings ziemlich unumwunden mit mir auf den Punkt. „Also gut. Wir hatten jetzt nach dem auffälligen CTG von heute morgen, zwei gute Kurven. Ich habe hier auch Ihren Revers-Schein ausgefüllt dabei. Abr ich entlasse Sie damit ausdrücklich entgegen meines ärztlichen Rats.“ Ich atme durch. Bleibe ruhig. „Sie müssen einfach verstehen, dass meine Erfahrung mir zeigt, dass es auch schlecht ausgehen kann. Ich kann sie jetzt mit einem guten CTG entlassen und morgen kommen Sie vielleicht ohne Herztöne hier zum neuerlichen CTG. Die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. Aber ich möchte dann nicht schuld sein, wenn ihr Kind morgen nicht mehr lebt.“ Es dreht sich in meinem Kopf. Ich atme einfach weiter. Bleibe äußerlich ruhig. Versuche zu verarbeiten, was mir gesagt wurde. Schaue dem weißen Kittel fest ins Gesicht. „Also gut, ich lasse Ihnen den Schein da. Sie brauchen nur zu unterschreiben und können dann gehen. Morgen früh kommen Sie aber direkt zum CTG. Und auch falls sich nachts etwas komisch anfühlt, oder ihr Kind sich nicht mehr bewegt.“ „Das werde ich,“ antworte ich gefasster als ich es selbst für möglich halte. „Ich weiß nur einfach, dass ich zu Hause besser zur Ruhe komme.“ „Haben Sie es denn im Ernstfall weit bis zu uns?“ Ich überlege unser Schlafzimmer vom Fenster aus zu zeigen, lasse es aber. „Nein, ich kann in 3 Minuten hier sein.“ „Gut.“ Der Revers-Schein wird vor mich hin gelegt und beendet dieses sonderbare Gespräch. Als die Tür schwer ins Schloss fällt, wähle ich bereits Alfis Nummer, während mir die Tränen still über die Wangen laufen. Weil ich mich zurückversetzt fühle, in die vielen Krankenhausaufenthalte vor der Geburt der Zwillinge. Der Druck lastet schwer auf mir, bis ich Alfis unbekümmertes: „Und? Soll ich dich holen?“, höre, während im Hintergrund die Kinder offenbar gerade vergnügt im Pool planschen. Unter Tränen erzähle ich ihm, was mir gesagt wurde und Ende mit: „Ich will nicht schuld daran sein, dass unser Kind morgen nicht mehr leben könnte.“ „Ini! Was immer passieren würde, du bist nicht schuld. Geht es dir bei uns besser?“ „So verrückt wie man mich hier macht? JA!“ „Dann komme ich dich jetzt holen.“ Wir einigen uns darauf, dass ich meine Hebamme vorab noch einmal anrufe und um Rat frage. Denn ihre Erfahrung kann ich im Gegensatz zu der des weißen Kittels einschätzen. Ich weiß nicht in wie weit der ärztliche Rat notwendig oder vom eigenen Sicherheitsdenken geprägt ist.

Selbst wenn ich die Besorgnis ernst nehme, spricht zu dem Zeitpunkt nichts weiter dafür, dass es ernsthafte Risiken gibt. Dabei bin ich die Letzte, die eine notwendige erneute Sectio abgelehnt hätte. Ich würde den Wunsch eine spontane Entbindung zu haben, niemals über ein real existentes Risiko stellen. Es geht hier um ein Wunder in meinem Bauch, mit dem wir alle nicht gerechnet haben. Nie würde ich das aufs Spiel setzen. Das weiß auch meine Hebamme, ebenso, dass es mir schon ernsthaft zugesetzt haben mus, wenn ich derart am Telefon weine. „Pass auf. Ich sehe das mal ganz pragmatisch. Du wohnst 3 Minuten vom Kreißsaal entfernt. Auch im Krankenhaus würde dich niemand ans Dauer-CTG legen. Selbst dort bestünde ein Restrisiko, zwischen dem CTG am Abend und dem am Morgen. Wenn du dich besser fühlst, bringe ich dir auf meinem Weg zur Nachtschicht mein Herztonmessgerät vorbei. Sollte dir nachts irgendwas komisch vorkommen, rufst du mich hier an und Alfi bringt dich. In Ordnung?“ „Ja“, antworte ich. „Danke.“

Hoch erhobenen Hauptes gebe ich den Schein bei den Hebammen ab und merke wie mir ein Felsen vom Herzen fällt, als sie mich entspannt gehen lassen. Ich streiche über meinen Bauch, fühle zum Kind unter meinem Herzen und spüre die Gelassenheit, die mich durchfließt. Wir haben noch Zeit. Und so verlasse ich 15 Minuten später wieder einmal das Krankenhaus mit dem Babybauch.

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