Vom Leben und seinen Plänen

Es ist der 30.11.2019. Während Tilli in der Kita ist, bin ich für die restlichen drei kranken Familienmitglieder einkaufen. Unschlüssig stehe ich im Drogeriemarkt vor diesem Regal. Es ist mir ein bisschen peinlich. Dabei weiß ich nicht mal vor wem. Also wähle ich verstohlen einen Artiekl aus und gehe zur Kasse, um ihn dort total unauffällig unter Getreideriegeln, Reinigungsmitteln und Windeln zu schummeln. Was widerum wirklich peinlich ist. Ich bin 36 Jahre alt und schäme mich für den Kauf eines Schwangerschaftstests. Da muss ich selbst lächeln. Auch weil der Kauf an sich schon lächerlich erscheint.

Etwa fünf Jahre zuvor. Wir sitzen Hand in Hand am Schreibtisch der Spezialistin des Kinderwunschzentrums. „Ok, also nochmal zum Verständnis: wir sind kerngesund, jung genug, fit und willig Kinder zu bekommen, aber wir beide zusammen, haben auf Grund schlechter Voraussetzungen eine wie hohe Wahrscheinlichkeit auf natürlichem Weg schwanger zu werden?“ Sie bleibt ruhig. Die Frage ist ihr offenbar geläufig. Ich nehme es ihr nicht krumm. Im Gegenteil, ich bin ihr für die ebenso nüchterne wie verständnisvolle Art dankbar. Sie räuspert sich. „In etwa so hoch, als würden Sie einmal im Leben Lotto spielen und gewinnen.“

Ich lächle bei dem Gedanken daran und an die schönen Embryonen, die zu drei wundervollen Kindern geworden sind, schaue der Kassiererin dabei zu, wie sie alles übers Band zieht und zahle.

Mittlerweile bin ich seit etwa neun Tagen überfällig. Bei einem so unverlässlichen Zyklus wie meinem ist das allerdings eine gewagte Vermutung. Weshalb ich zwar irgendwie aufgeregt bin, während ich auf der Toilette verschwinden will, aber spätestens in dem Moment, als Frida unbedingt mit möchte, einfach innerlich an ganz andere Zeiten denke.

„Ini, alles ok?“ fragt Alfi vorsichtig durch die geschlossene Tür. Nein, nichts ist ok. Es ist der Sommer 2012 und ich sitze in unserem wunderschönen schwedischen Ferienhaus auf der Toilete und warte auf den zweiten Streifen, der nicht erscheinen wird. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich bin so wütend, verzweifelt, traurig und hilflos, dass ich keine Luft bekomme. Ich ziehe den Riegel der Tür zurück und Alfi nimmt mich stillschweigend in den Arm, während draußen der Sohn unserer Freunde nach uns ruft.

Frida schaut gespannt auf den Waschbeckenrand. Da muss was unfassbar Spannendes vor sich gehen. Zumindest gilt es das zu vermuten. Denn ich habe aufgehört zu atmen und starre den billigsten Test an, den man nur kaufen konnte. Immer wieder sehe ich, wie sich der erste Balken in rasender Geschwindigkeit lila verfärbt. 

Mit Frida an der Hand gehe ich aus dem Bad, schaue Alfi ins Gesicht, der schon im Kücheneingang gewartet hat. Er zieht die Augenbrauen hoch und macht im Affekt die Gebärde für „Was?“. „Herzlichen Glückwunsch, wir bekommen noch ein Kind“, ich lache, bevor ich weine, bevor alle meine Gedanken ins Nirvana eines Strudels gehen, dem ich nicht in der Lage bin zu folgen. Wir lachen beide, wir weinen beide. Es ist die reine Fassungslosigkeit.

„Du hast neben Tillmann noch Zwillinge?“, meine neue Kollegin holt tief Luft, als wir dieses erste längere private Gespräch führen. Sie ist selbst junge Mutter von zwei Kindern. „Und dann gehst du auch noch arbeiten? Wie machst du das nur?“ Ich zucke uneindeutig mit den Schultern. Zum einen weil ich das nicht beantworten kann, zum anderen weil ich in den letzten anderthalb Jahren nicht immer überzeugt davon war, das wirklich gut zu machen. „Wir machen es einfach. Es ist unser Leben. Ich kann das nicht hinterfragen, weil dann keine Zeit fürs leben mehr bliebe. Und tatsächlich läuft es gerade richtig gut. Tilli entwickelt sich wahnsinnig toll, Frida und Janosch werden immer selbstständiger, wir als Eltern werden immer entspannter und die drei wachsen zusammen. Ehrlich gesagt, könnte es gerade nicht besser laufen.“

„Ich rufe meine Ärztin an, ich will das lieber von ihr bestätigen lassen.“ „Ja, ist gut, ich und die Kinder kommen klar, fahr einfach.“ Gesagt getan. 10 Minuten später sitze ich im Wartezimmer. Ich habe das Gefühl mich selbst von außen betrachten zu können, wie ich da äußerlich ruhig sitze. Als würde ich zu einem Routinebesuch bei meiner Frauenärztin im Wartezimmer sitzen. Innerlich durchlaufen mich so viele Erinnerungen, Szenarien, Gedanken und Gefühle, dass ich das Gefühl habe, den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Frau M.?“ Ich stehe auf, gehe in das Sprechzimmer, das eine beruhigende Wohnzimmeratmosphäre hat. Hinter mir schließt sich die Tür. „Nehmen Sie bitte Platz.“ Sanft schiebt sie mich Richtung Sessel, nachdem ich mich einfach nicht bewegen kann. Sie nimmt mir Gegenüber an ihrem schweren Holzschreibtisch Platz. Sie schaut mich aufmunternd an. „Dann erzählen Sie mal.“ Ich schaue sie an, hole Luft, will etwas sagen, bevor mir etwas wie ein kurzes Lachen entweicht, dass von vielen Tränen gefolgt wird. Sie reicht mir über den Tisch eine Taschentuchbox und dann ihre Hand. Ich nehme sie dankbar. „Wissen Sie, ich schimpfe gerne mal über die Zuverlässigkeit von Tests, doch ein positives Ergebnis lügt selten.“ Sie lächelt, ich lache wieder kurz. Wische mir die Tränen ab und atme tief durch. „Wollen wir uns das mal anschauen?“ Ich nicke. Als das Bild auf dem Ultraschall erscheint, muss sie nichts sagen. Ich kann es klar erkennen. „Es ist noch kein Herzschlag zu sehen. Sie wissen, dass das nichts heißen muss. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie lieber vor Weihnachten oder im neuen Jahr zur Kontrolle kommen wollen.“ „Nein, lieber vor Weihnachten, ich möchte Gewissheit.“ „Ist gut“, sagt sie. Mir laufen immer noch Tränen über die Wangen. „Freuen Sie sich denn?“ „Ja“, und wir sind beide einwenig überrascht wie prompt und deutlich ich das hervorbringe. „Es ist nur… es ist nur so unfassbar.“

So vergingen die Tage mit viel Fassungslosigkeit, Übelkeit, die Hoffnung stiftete und einem zweiten Ultraschall der uns zum wiederholten Mal Lebenspläne als lächerlich aufzeigte.

Heute war das Ersttrimester-Screening. Wie bei den Zwillingen, wollten wir einfach wissen, was auf uns zukommt. Alfi und ich treffen uns an der Praxis. „Hast du auch Schiss?“ „Ja, ich hab die Hosen gestrichen voll“, sage ich. Weil wir sind doch mittlerweile echt alt. Wir sind nicht mehr nur jung, kerngesund und willig Kinder zu kriegen. Und so lege ich mich mit bangem Herzen auf die Liege, mache meinen Bauch frei, der von drei Kindern gezeichnet ist. Ich merke, wie mir still Tränen über die Wangen laufen und ich Angst habe, dass das alles nur ein Traum ist. Dass in diesem Bauch nichts ist. Oder dass es dem Wunder da drin nicht gut gehen könnte. Gut gelaunt, betreut uns der Facharzt, der schon die Untersuchung der Zwillinge gemacht hat. „Da, ein kräftiger Herschlag. Wie aus dem Lehrbuch.“ Er misst, beurteilt und freut sich über dieses kerngesunde Baby in meinem Bauch. Legt mir ein Foto nach dem anderen auf die Brust. Mit jedem Bild mehr, kann ich ein Quentchen mehr daran glauben.

Wir haben nur einmal gespielt und im Lotto gewonnen. 

#daslebenistschön #manmussnurhinsehen #außerordentlichundglücklich

 

 

13 thoughts on “Vom Leben und seinen Plänen

  1. Wie schön für sie. Andere Familien bekommen mit 36 und älter ihr 1. Kind.
    Kinder sind ein wunderbares Geschenk und sie werden das mit Bravour schaffen.
    Ich wünsche ihnen von Herzen viel Liebe und Kraft.
    Alles erdenklich gute für ihr Familie.
    Dietlind Diefenbach aus lorch am Rhein.
    Die Mutter von Lena,der Freundin von claire.
    Ich glaube, sie war schon zu Besuch bei ihnen Zuhause ?

  2. Das ist so ein schöner Text. Ich freue mich für euch und heule mit euch. Ich hoffe, dass du diese Schwangerschaft gesund genießen kannst und ihr viel Segen und Freude in eurer wachsenden Familie habt.

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